Wir üben noch immer das Erwachsenwerden…

Hui, denkt eigentlich noch wer an seinen Jugendweihetag? Ich muss jedes Jahr darüber schmunzeln und trinke dann halt auch mal ein Jubel-Gläschen drauf, so wie heute. Allerdings ist es mir in den inzwischen 22 Jahren nicht gelungen, ganz erwachsen zu werden 😉

Aber denke ich an den Tag zurück, schüttele ich mich doch schon ein bisschen. Der Morgen begann schon mit zittrigen Gliedmaßen, schließlich war ich mächtig aufgeregt. Stressig war es dazu auch noch: die Dauerwelle musste aufgefönt werden, alles musste sitzen und die Gesichtsbemalung dauerte auch. Jaja, feiert die junge Dame nun Jugendweihetag oder muss sie zu ihrem 100. Geburtstag etliche Falten kaschieren? Also stieg ich nach meinem Morgenritual im Bad in mein Kleid, zog mir die Strumpfhose an. Meine Angst war natürlich „Bloß nix reißen lassen!“ Und wie habe ich Strumpfhosen gehasst! Ich setzte mich also zur Restauration vor meine Mutter, die mir dann mit Fön und Rundbürste eine Frisur zurechtzwirbelte und mir ein dezent buntes Gesichtchen zeichnete. Hier mal ein Stiftchen fürs Äuglein und da noch ein Stiftchen für mein Koddermäulchen, fertig war ich. Frühstück fiel aus, ich habe vor etwa 09:00 Uhr eh noch „lange Zähne“ und war dazu viel zu aufgeregt, um etwas herunterzubekommen.

Wie fühlte sich Madame nun? Total verkleidet und optisch einiges älter…diese blöde Fönfrisur! Dazu hieß es ja auch noch, zum Kleidchen entsprechende Schuhe anzuziehen, die ich schon Tage vorher einlaufen musste. Mit diesen Dingern musste ich nun fast 3 km zum „Theater des Friedens“ in die Stadt marschieren, um zur Veranstaltung zu kommen. Größtenteils hatte ich mit den vielen Fußwegen im schlechten Zustand zu kämpfen. Ich war außerdem stinksauer, dass ich nicht mit dem Auto mitkommen konnte und sich schon auf dem Wege erste schmerzhafte Blasen an der Fersen meldeten. Die Krönung war die Begegnung mit zwei älteren Damen, die mich beäugten und ich tatsächlich folgendes vernahm: „Junge Frau, sie sehen ja adrett aus! Hat Ihr Kind denn auch Jugendweihe?“ Ich bin fast geplatzt! Diese Fönfrisur hatte mich also doch um einiges älter wirken lassen! Meine gereizt gelächelte Antwort lautete „Nee, ich habe selbst Jugendweihe!“. Der Dame war es sichtlich peinlich und dann konnten wir doch miteinander lachen. Aber innerlich hat es gebrodelt, ich war noch immer sauer auf die Frisur, meine schmerzenden Fersen und Waden, da es sich mit solchen Trittchen doch anders läuft als mit meinen heiß geliebten Turnschuhen. Dazu fingen auch noch die Achselteilchen an zu zwicken, da das Kleid sehr knapp passte. Tapfer lächelnd erreiche ich endlich das Kino..äh Theater. Es waren schon recht viele Andere dort und wir wurden dann platziert. Endlich sitzen! Es folgte eine Rede nach der anderen über sozialistisches Wasauchimmer und dann hieß es, sich auf der Bühne aufzustellen. Klein Madame steht also wieder zitternd vor Aufregung in der Reihe, musste trotz höllischer Schmerzen an den Fersen lächeln und die Glückwünsche nebst Karte mit flattrigen Patscherchen entgegennehmen. Wir durften dann wieder „abtreten“ und nach einigen weiteren langweiligen Ansprachen wurde zur Aufstellung für das Foto vor dem Gebäude gerufen. Es folgten noch die Glückwünsche von jeglichen Lehrern und Ex-Klassenlehrerin und dann war alles endlich erledigt. Dann gingen wir essen und zu Hause riss das das Trara ja nicht ab. Inzwischen hatte ich bepflasterte Füße, eine einigermaßen bessere Laune und der Tag endete doch noch recht angenehm. Das Buch „Vom Sinn des Lebens“ bekam ich übrigens nicht. Dieses Buch sah ich erst nach der Jugendweihe meines Cousins in seinem Bücherregal, der fast gleichaltrig ist. Ich erfuhr auch, dass wohl normalerweise jeder „Frischerwachsene“ dieses Buch erhielt, der bis zur Wende Jugendweihe hatte. Klar, wir schrieben 1990, die Redevorlagen waren zwar wahrscheinlich verstaubte Schriftstücke aus den Vorjahren, aber das Buch hielt man dann doch nicht mehr für nötig.

Nun müsste ich mich natürlich immer noch bestürzt fragen, worin der Sinn des Lebens besteht. Aber der ist mir in den bislang 22 Jahren noch rechtzeitig eingefallen, was für ein Glück, nicht wahr? Ob ich je erwachsen werde, steht auf dem zweiten Blatt. Ich werde es, wie bereits gesagt, wohl nie, aber immerhin habe ich recht früh gelernt, Verantwortung für mich und andere zu übernehmen. Ich mache, wie jeder Andere meine Fehler und „übe“ noch immer das Leben, aber habe eine Menge erreicht. Genau das wünsche ich auch den Jugendlichen, die die Aufnahme in die Reihe der Erwachsenen nicht ausschließlich feierlich erleben, sondern sich auch tatsächlich darüber bewusst werden, dass sie ab diesem Zeitpunkt nicht nur künftig gesiezt werden. 😉

Einen Tipp hätte ich noch an die Mädels: Setzt Euch …ähm… setzen Sie sich durch, wenn Mami Ihnen die Frisur fönen möchte und die Schminkstifte ansetzt.

Es ist einer Teenie-Trine auch nicht so richtig klar, wieviel Mühe so eine Feier macht und dass die Ma es mit allem doch gut meinte. Die Dauerwelle selbst war von mir gewollt, aber ich fand es eben nur als „Krause“ schick. Jungsche Hühner eben, nicht wahr, liebe Mütter…? 😉

Mit einem Schmunzler über das Erlebnis (nicht nur mit den zwei älteren Damen) wünsche ich alles Gute und trotz zunehmender Verantwortung viel Spaß im bzw. am Leben und man bleibt irgendwie auch Kind. Vielleicht nur halb so albern wie ich *dezentes Hüsteln*.

PS: In diesem Blog kann sich natürlich weiterhin geduzt werden 😉

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2 Gedanken zu „Wir üben noch immer das Erwachsenwerden…

  1. Hallöle, jung gebliebene Verstrubbelte…

    Ich musste tatsächlich grinsen bei diesem Beitrag. Und ich würde schwindeln wenn ich behaupten würde das Foto am Ende wäre da unbeteiligt…. 😀

    Mein Buch sollte noch einen anderen Titel tragen: „Weltall, Erde, Mensch“. Aber es wäre mir eh abhanden gekommen. Wobei ich darin auch nicht wirklich gelesen hätte. Ich hatte es nicht so mit der „Staatsreligion“. Dann doch eher mit der Richtigen was mir dann auch eine Feier einbrachte, einen heiß gewünschten Siegelring aus Silber und Geld, und böse Blicke und Anderes in der Schule. Keine Jugendweihe gehabt zu haben war eben nicht gern gesehen seinerzeit.

    Erwachsen wurde ich dennoch wie der „Lockenkopf“ der durchaus das Jugendbuch „Trotzkopf“ zur Lebensvorlage gehabt haben könnte.

    Viele Grüße vom Rudi

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