Der Arbeitsmarkt ist hart, wie wir wissen. Meine letzte Bewerbung war leider nicht erfolgreich, auch meine OB-Kandidatur ging in die Binsen. Ich gebe nicht auf und versuche es erneut, denn irgendwo muss man ja eben „unterkommen“, richtig? Ich fand etliche Stellenanzeigen, die sich in vielen Forderungen verdammt ähneln: Jung, dynamisch, in allen Bereichen berufserfahren, wahnsinnig flexibel und natürlich mit einer Gehaltsvorstellung, die möglichst auf Ehrenamt hinsteuert.
Neue Bewerbung, neues Glück (oder?)
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ihre Stellenanzeige in der Zeitung XY hat mich so sehr gerissen, dass ich mich mit Lachtränen an Sie wende.
Da Sie in Ihrer Stellenanzeige recht viele Bereiche ansprechen, in denen Sie umfangreiche Kenntnisse und Fertigkeiten fordern, gehe ich im Einzelnen auf diese ein. Ich weiß, dass für ein Anschreiben max. 1 Seite reichen sollte, damit Sie einen schnellen Überblick haben und Zeit ja auch Geld ist. Wer das Eine will, muss aber das andere mögen, nicht wahr? Daher nehme ich mir die Zeit zum Schreiben, die Sie sich gefälligst auch zum Lesen nehmen.
Als so genannt „verkrachte Existenz“ habe ich schon Dieses und Jenes ausgeübt. Bislang hatte ich von bisherigen Einsatzstellen bejubelnde Beurteilungen erhalten, die Sie begeistern werden. Zertifikate, die „erfolgreiche Teilnahme“ bescheinigen, sind allerdings keine Kunst, da sie jeder bekommt, unabhängig, ob die Teilnahme nun tatsächlich aktiv war oder man reine Anwesenheit zeigte.
Kommen wir zu weiteren beruflichen Reißern, die Sie ganz sicher überzeugen: Wenn Sie vorhatten, sich aus verschiedenen Gründen zu ruinieren, da Sie beispielsweise auf Ihr Unternehmen keine Lust mehr haben, kann ich Ihr Unternehmen in Grund und Boden buchen. Nehmen Sie mich ruhig beim Wort. Diese besondere Fähigkeit beweise ich Ihnen auch, wenn ich mich aufgrund einer Ablehnung Ihrerseits bei der Konkurrenz bewerbe und eine Einstellung als Buchhalterin erfolgen sollte. Meine Rechenkünste, die Sie womöglich für jegliche Abrechnungen benötigen, reichen zwar gerade für den Hausgebrauch, aber mit einem Übernachtungsplätzchen und gutem bereitgestelltem Frühstück, werden auch diese mal fertig. Sie erwarten im Weiteren umfangreiche Kenntnisse am PC. Hier treffen Sie wahrlich meinen Nerv. Ich werde Ihnen Statistiken und Vorlagen erstellen, an die Sie womöglich im Traum nie dachten. Gut, sie werden aufgrund des Umfangs und der Genauigkeit sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, so dass ich beim ständigen Kaffee trinken kaum noch Ihre Geschäftsbriefe herunterklappern könnte. Aber Sie werden sehen, Ihre Kundschaft und Geschäftspartner werden begeistert aufkreischen, wenn ich doch noch 5 Minuten fand und diese Aufgaben erfülle. Schließlich beherrsche ich das 10-Finger-Tastaturschreiben recht gut, bin fix und kann mit entsprechendem Schreibstil, sofern nicht vorgeschrieben, zu Tränen rühren. Auf den letzten Nebensatz Bezug nehmend garantiere ich Ihnen, dass Sie von meinen Fremdsprachenkenntnissen wie „Schulrestrussisch“ und etwas Englisch mit Leseverständnis sehr profitieren. Ihre Kunden und Geschäftspartner werden über meine Wahnsinnssprachkenntnisse in Wort und Schrift tränenüberströhmt in deutscher Sprache an Ihrem Telefonapparat antworten. Der Vorteil ist, dass Sie also direkt mit ihnen verhandeln können. Allerdings kann ich auch telefonieren und habe es auch hier und da bewiesen. Meine Gesprächspartner waren jedenfalls überwiegend amüsiert.
Meine Flexibilität beschränkt sich auf öffentliche Verkehrsmittel, da diese A im Verhältnis zum Auto noch preiswerter sind und ich B aus guten Gründen keinen Flitzerschein erwerbe. Ich nehme selbstverständlich gern auch Taxi-Beförderung auf Ihre Kosten entgegen, um Ihre sicherlich noch kommenden Forderungen zu erfüllen, von heute auf gestern an einem weit entfernten Ort für Sie tätig zu werden.
Falls ich Sie nun überzeugt haben sollte und Sie mich entweder selbst einstellen oder mich an ihre Konkurrenten sozusagen wegloben, könnten wir uns gern über Weiteres unterhalten. Bei Annahme des zuletzt genannten Angebotes sollten wir über diverse Gegenleistungen verhandeln, wenn ich Ihre Konkurrenten schon gekonnt ausschalte. Ich nehme bei einem persönlichen Gespräch also gern Ihren verdünnten Kaffee nebst Restkekse von irgendwelchen längst vergangenen Veranstaltungen an und zeige somit auch bedarfsweise meine gute Umgangsform.
Selbstverständlich habe dann auch viele Fragen an Sie.
Auf eine brennende Frage bereite ich Sie an dieser Stelle gern vor: Könnten Sie Ihre eigenen Forderungen selbst erfüllen und würden sich auf Ihre eigenen Gehaltsvorstellungen einlassen?
Mit etwas Spannung erwarte ich Ihre umgehende Antwort und grüße freundlich lächelnd ab.
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4 Gedanken zu „Wir üben nochmals Bewerbungen“